Samstag, 12. April 2014

Der heilige Berg (1973) [Bildstörung]


Der heilige Berg (1973) [Bildstörung]

Im Dreck und seiner eigenen Pisse liegt er da, der namenlose Dieb (Horacio Salinas), der irgendwie an Jesus erinnert. Die Welt in der er aufwacht hat wenig zu bieten. Jedenfalls wenig erstrebenswertes um ihm herum nur Gewalt, Zügellosigkeit und etwas Krankes, das man einst vielleicht Religion genannt hätte. Ziellos taumelt er von einer schrecklichen Szenerie in die nächste und wird dabei immer neuen Gefahren für Leib und Seele ausgesetzt. Letztlich führt ihn seine Geldgier auf einen mysteriösen Turm, in dem er den Alchimisten (Alejandro Jodorowsky) kennenlernt. Ohne es zu ahnen hat er somit zufällig den möglichen Weg in die Erleuchtung gefunden. Nach dem Initiationsritus werden ihm einige weitere ehemalige Diebe zur Seite gestellt. Darauf erfahren sie alle von ihrer Bestimmung. Gemeinsam mit dem Alchimisten sollen sie den heiligen Berg besteigen und dort das Geheimnis des ewigen Lebens lüften.

Mit Montana Sacra betreten wir ein neues und sehr aufschlussreiches Kapitel in Jodorowskys Schaffen. Während er in “El Topo” noch ein paar Grenzen aufrecht erhalten konnte, brechen beim heiligen Berg alle Dämme. Von der ersten Sekunde an bricht eine unbändige Lawine von Symbolen auf den Zuschauer ein. Im Mittelpunkt steht der, an Jesus erinnernde Narr. Gespielt wurde er von Horacio Salinas, nachdem George Harrison die Rolle ablehnte, da er seinen nackten Arsch nicht im Kino zeigen wollte. Genauso wie der Zuschauer soll er durch die Reise mit dem Alchemisten, gespielt von Jodorowsky persönlich, Erleuchtung finden. Diese Erleuchtung geschieht durch eine Reinigung, die damit beginnt alles Geld in seinem Besitz zu verbrennen und geht dann über in die Erklimmung des heiligen Berges. Der Weg ist gesäumt mit psychoanalytischen Gleichungen, Tarotkarten und vielen anderen religiösen und mystischen Bildern. Ein wichtiger Teil dieses Erlebnisses ist auch die Zerlegung des Mystizismus und anderen Illusionen. Dabei wird auch immer heftiger die vierte Wand durchbrochen. Erst subtil, wenn der Künstler Spezialeffekte klar als diese erkennbar werden lässt, später sehr direkt indem Jodorowsky uns ins Gesicht sagt was Sache ist. Wir als Zuschauer, genauso wie die Darsteller sind ihm nämlich auf den Leim gegangen. Die Erleuchtung kommt nicht einfach so zu uns. Wir finden sie nicht in einem Film und von Jodorowsky können wir nur Denkanstöße und Arschtritte erwarten mehr allerdings nicht.

Als El Topo zum Mitternachstkino Kassenschlager wurde und auch ein kommerzieller Hit wurde, wenn auch nur für einen sehr begrenzten Markt, wurden auch viele Popkünstler auf Jodorowskys Arbeit aufmerksam. Vorne mit dabei Yoko Ono und John Lennon. Durch Lennon lernte Alejandro den ehemalige Beatles-Manager Allen Klein kennen. Klein Finanzierte daraufhin den heiligen Berg, seine Erwartungen wurden jedoch nicht erfüllt. Anstatt einem wütenden Italo-Western oder etwas sonst irgendwie kommerziell verwertbaren bekam er etwas, das noch sehr viel verklopfter und schwerer zu konsumierendes als El Topo. Sehr viel schwerer ist eine nachvollziehbare Handlung zu erkennen. Somit erinnert der Berg wieder etwas mehr an seinen ersten abendfüllenden Streifen “Fando und Lis”. War die Reise der beiden Liebenden allerdings eher schwer zu verfolgen da nur wenig wirklich ausgesagt wurde und man vieles in den eher sperrigen Symbolen Suchen musste, überschüttet man dieses mal die Zuschauer. Einiges erinnert immer noch an Luis Buñuel, auch die Einflüsse der großen Pantomimen kommen dezent zum Vorschein, handwerklich, aber auch erzählerisch fühlte ich mich am meisten an Federico Fellini (Toby Dammit) erinnert. So viele Szenen bestehen aus konstanter Eskalation. Unzählige Komparsen füllen den Hintergrund mit neuen inhaltlichen Ebenen und auch das Bühnenbild quillt über vor Farben, Formen, Symbolen und Bewegung. Auch nach mehrmaligem Schauen eröffnen sich neue Details, die wiederum neue Überlegungen zur Bedeutung zulassen.

Selbst wenn es teilweise nur schwer ist der Sache zu folgen, teilweise erschöpft der heilige Berg den Zuschauer doch sehr mit seiner beinahe zweistündigen Laufzeit, die Botschaft ist sehr deutlich und so unsubtil wie sie nur sein kann. Aber nicht nur das Ende ist recht offensiv, sondern auch die Bildsprache benutzt im Verlauf doch schon mal den Holzhammer. Trotz diesen offensichtlichen Momenten bleibt dazwischen noch unheimlich viel zu entdecken und selbst wenn man alles immer wieder analysiert wird man jedes mal neue Ansätze entdecken.

Ich persönlich halte den Film in seiner Gesamtheit für ein krasses Machtwerk und kann bei jeder Sichtung nur aufs neue staunen wie so etwas zu Stande kommen kann. Genial sind für mich aber nur einzelne Segmente des Films, wie zum Beispiel die Vorstellung der anderen Diebe. Für meinen Geschmack fehlt dem letzten Drittel ein wenig an Energie, was bei mir zu kleineren Durchhängern führt. Davon abgesehen sind Jodorowskys früheren Werke mehr nach meinem Geschmack. Auch das seine Tarotbesessenheit und sein Mystizismus so überhand nehmen stört mich ein wenig. Beides steht einem eindringlicheren Film teilweise im Wege, aber ohne diese Elemente wäre es wiederum auch kein solch persönlicher Film des chilenischen Allround Künstlers.

Der heilige Berg ist leise, laut, bunt, eintönig, sperrig, zu simpel gehalten, komisch, erschreckend, widerlich, schmeichelnd, aufregend, nervig, verklopft, dumm, langsam und rasant. Vor allem ist der heilige Berg aber eines der besten filmischen Werke des Surrealismus und für jeden etwas anderes. Wie bei jedem Film dieser Art liegt es am Konsumenten etwas daraus zu machen. Der Künstler wirft uns die Brocken nur grob geschnitten oder verdreckt vor die Nase. Manchmal sind Gewürze dran, manchmal von Würmern zerfressende Fäkalien. Daraus etwas mit Gehalt und Nährwert zu kreieren ist nicht einfach, aber doch möglich. Es kostet Arbeit und Zeit, wenn man aber bereit ist beides in diesen Film zu investieren, dann wird man belohnt und vielleicht hält Jodorowsky für den einen oder anderen doch den Schlüssel zur Erleuchtung bereit.


“Der heilige Berg” ist als Teil der Jodorowsky Filmbox nun auch bei uns endlich ohne Probleme zu bekommen. Das Bild wurde digital aufbereitet und sieht super aus. Der Ton klingt sauber und ist auf deutsch und spanisch vorrätig. Deutsche Untertitel sind ebenso dabei. Hinzu kommt ein aufschlussreicher Audiokommentar von Jodorowsky. In den insgesamt drei Digipacks, die wiederum mit einem Schuber kommen - natürlich mit abnehmbaren FSK Umschlag - befinden sich noch 2 umfangreiche Booklets, eines mit einem Interview, sowie dem Indizierungsbeschluß zu “El Topo” von damals und ein anderes über Jodorowsky Schaffen. Auf den DVD’s befinden sich außerdem noch die Filme “Die Krawatte”, “Fando und Lis”, “El Topo”, die Dokumentation ”Die Konstellation Jodorowsky”, sowie Audiokommentare und viele andere Extras. Und dann sind da noch 2 Audio CD's mit den Soundtracks zu “El Topo” und “Der heilige Berg”. Fans des Ausnahmeregisseurs greifen also sehr entschlossen zu dieser tollen Box.