Freitag, 4. April 2014

El Topo (1970) [Bildstörung]


El Topo (1970) [Bildstörung]

Vollkommen in schwarz gekleidet reitet der Revolverheld El Topo (Alejandro Jodorowsky) mit seinem kleinen Sohn Brontis (Brontis Jodorowsky) durch die Wüste. Sie erreichen ein Dorf in dem alle Einwohner und Tiere von dem sadistischen Colonel und seinen mörderischen Banditen abgeschlachtet wurden. Kurzerhand tötet El Topo sie alle. Dabei befreit er auch die Sklavin des Colonels, die von nun an den Platz an seiner Seite einnimmt. Dafür lässt er Brontis bei den Franziskaner Mönchen, dessen Mission die Banditen erobert hatten. Mara, so der Name der befeiten Sklavin, lässt sich von den übersinnlichen Fähigkeiten des Maulwurfs alsbald betören. Doch bevor sie ihn wirklich vollkommen lieben kann, muss er ihr beweisen, dass er der Beste ist. Dazu muss er nun alle vier Meister der Wüste besiegen.

Soweit eine knappe Inhaltsangabe der ersten Hälfte. Beginnt man erst einmal darüber nachzudenken, was eigentlich alles in Jodorowskys, wie ich finde, künstlerischen Höhepunkt alles geschieht, ist die Handlung eigentlich überraschend komplex. Auf dem ersten Blick kann die eigentliche Handlung nämlich ziemlich schnell in den Hintergrund geraten. Trotz des hohen surrealistischen Anteil des Films kann man dem Inhalt eigentlich durchgängig sehr gut folgen. Lässt man es aber zu, verlieren die Gedanken sich schnell in religiösen Symbolen des Christentums und einigen fernöstlichen Glaubensrichtungen, sexuellen Metaphern und biblischen Gleichungen. Etwas Humor und Mimenspiel fließt ebenso in die Handlung ein, wie eine bis dato ungesehene heftige Gewaltdarstellung. Die Krank- und Eigenheiten unserer Gesellschaft werden zudem auch kritisiert, teilweise überspitzt und zuletzt auch auf die Schippe genommen. Ohne Frage ist auch Faschismus und Diktatur ein wiederkehrendes Thema, so stand der chilenische Diktator Augusto Pinochet sicherlich Pate für den Colonel, während andere Banditen, wie zum Beispiel der Schuhfetischisten Bandit eine harmlosere Herkunft genießt und durch Luis Buñuel beeinflusst wurde.

Genauso wie andere Acid Western, wie zum Beispiel die frühen Filme von Jack Nicholson “The Shooting” und “Ride in the Whirlwind” geht der größte Reiz von der sehr unwirklichen Atmosphäre aus, die durchgängig einem abgefahrenen Trip gleichkommt. Acid Western kann man daher schon als Genre angeben, ein wirklicher Western ist es allerdings doch nicht. Jedenfalls spielt der Film nicht zur Western Epoche und auch nicht an einem real existierenden Ort. Viel mehr handelt es sich um ein blutiges und in vielen Belangen nihilistische Märchen, das keine Angst davor hat erzählerische und darstellerische Grenzen auszuloten und im selben Zug zu überschreiten und neu zu setzen.

Neben den vielen Symbolen spielen auch Farben und Geometrische Formen eine große Rolle. Überall lassen sich Punkte, Kreise und Spiralen wiederfinden und wer sich seine Gedanken darüber macht wird dafür schnell Erklärungen finden. Auch die vier Meister der Wüste könnten symbolischer nicht sein und zwar so sehr dass sie gar nicht mehr wie Charaktere wirken, sondern nur die Botschaft sind, die sie rüberbringen sollen. Dann wiederum sind Charaktere wie Mara oder die schwarz gekleidete Dame vorhanden, die wie Hauptpersonen erscheinen aber eigentlich auch nur Symbole sind. Viel Raum zur Interpretation ist jedenfalls gelassen und wer wirklich Interesse daran hat alles zu entschlüsseln wird an manchen Punkten lange zu knabbern haben. Interessant ist es allemal und durch Tolle Ergänzungen wie dem hinzugefügten Audiokommentar des Regisseurs, Autors und Hauptdarstellers, sowie Sekundärliteratur, wie dem El Topo Buch von Jodorowsky gibt es viele Möglichkeiten tief in die Materie abzutauchen. Auch El Topos Bedeutung für die Midnight Movies ist sehr interessant und verdient mehr Aufmerksamkeit. Wer dazu aber mehr wissen möchte sollte sich unbedingt die gleichnamige Dokumentation zu Gemüte führen.

Wichtig und vielleicht wichtiger als der Inhalt und die Intentionen des Künstlers ist was der Konsument durch das Kunstwerk erlebt. Anstatt also meine Interpretation zu manch einer kryptischen Szene auszubreiten und damit den Film für Leute zu zerreden, die ihn noch nicht sehen konnten, schließlich war der Film bis 2012 hierzulande indiziert, finde ich es wichtig zu kommunizieren was ich beim ersten Schauen empfunden habe. El Topo kam eher zufällig in mein Leben. Erstmals hörte ich wohl mit 16 von dem Film. Damals erzählte mir ein Freund von irgendeinem obskuren Western aus Mexiko, viel blieb bei mir aber nicht hängen und so dauerte es noch ein paar Jahre bis ich den Film dann wirklich zum ersten mal sah. Allerdings ohne Ton und dann gleich einige male hintereinander. Das ich dabei in einer Kneipe stand in der gleichzeitig eine Band spielte machte die Erfahrung noch unwirklicher als der Film ohnehin schon ist. Danach war ich begeistert und El Topo musste organisiert werden, was damals noch nicht ganz so einfach war. Eine kurze, aber noch nicht allzu ungesunde Obsession sorgte alsbald dazu meinen an El Topo angelehnten Spitznamen El Tofu zu etablieren. Ohne dieses Werk von Jodorowsky wäre der Blog so wohl nie entstanden oder hätte zumindest einen anderen Namen. Somit wohl einer der wichtigsten Filme meines Lebens und teilweise immer noch ein nur schwer zu schauendes Erlebnis und Mysterium.

Durch den gekonnt und teilweise konterintuitiv eingesetzten Soundtrack (übrigens auf einer Bonus CD ebenfalls in dieser Box enthalten) kann der Surrealismus, sowie auch das Märchenhafte unterfüttert werden, Jodorowsky und die anderen Darsteller wirken zu jeder Zeit glaubhaft, wenn auch ihre Figuren nur in der durch sie erschaffenden Welt funktionieren. In all dem ist auch noch eine sehr offenkundige Verbeugung vor Tod Brownings Arbeit zu erkennen, an dessen berühmtestes Werk “Freaks” einiges im finalen Akt angelegt ist. Einzig zu kritisieren ist Jodorowskys Umgang mit Tieren. Einige der für den Film getöteten Tiere waren eh krank und wurden daher nicht extra für die Dreharbeiten getötet. Allerdings trifft dies nicht auf zwei getötete Krähen zu, was der Künstler heute zwar bereut, im Film zu sehen ist es allerdings trotzdem und ist natürlich eine vollkommen unnötige Qual, die den Film kein Stück weitergebracht hat.

Soweit ein paar meiner lose zusammenhängenden Gedanken, Beobachtungen und Einschätzung zu El Topo. Es handelt sich nicht um einen unter vielen Filmen oder um etwas gewöhnliches. Daher sollte man bei Interesse einfach mal den Versuch starten und das Kunstwerk auf sich wirken lassen. Etwas Medien Erfahrung und ein freier Geist sind Grundvorraussetzung, ansonsten wird man sich nur langweilen, nichts verstehen oder sich ärgern. Sind diese Bedingungen allerdings erfüllt wird man zumindest ein anregendes Erlebnis durchleben, wenn auch El Topo wohl nicht auf jeden eine hypnotische Wirkung haben wird.
“El Topo” ist als Teil der Jodorowsky Filmbox nun auch bei uns endlich wieder öffentlich erhältlich. Das Bild wurde digital aufbereitet und sieht super aus. Der Ton klingt sauber und ist auf deutsch und spanisch vorrätig. Deutsche Untertitel sind ebenso dabei. Hinzu kommt ein aufschlussreicher Audiokommentar von Jodorowsky. In den insgesamt drei Digipacks, die wiederum mit einem Schuber kommen - natürlich mit abnehmbaren FSK Umschlag - befinden sich noch 2 umfangreiche Booklets, eines mit einem Interview, sowie dem Indizierungsbeschluß zu “El Topo” von damals und ein anderes über Jodorowsky Schaffen. Auf den DVD’s befinden sich außerdem noch die Filme “Die Krawatte”, “Fando und Lis”, “Der heilige Berg”, die Dokumentation ”Die Konstellation Jodorowsky”, sowie Audiokommentare und viele andere Extras. Und dann sind da noch 2 Audio CD's mit den Soundtracks zu “El Topo” und “Der heilige Berg”. Fans des Ausnahmeregisseurs greifen also sehr entschlossen zu dieser tollen Box.