Mittwoch, 13. Dezember 2017

Escalation (1968) [Forgotten Film Entertainment]

Escalation (1968) [Forgotten Film Entertainment]

Der jugendliche Italiener Luca (Lino Capolicchio) führt ein unbeschwertes Leben in London. Tag ein Tag aus spielt er seine Sitar, redet mit Buddha und tollt mit seiner Hippie-Freundin im Gras. Was eigentlich so schön sein könnte, findet ein trauriges Ende als sein Stammbaum ihn einholt. Sein Vater, der geschäftsmännische Olivenölmagnat Augusto Lambertinghi (Gabriele Ferzetti) ist nämlich Kapitalist durch und durch und fordert seinen Sohn nun auf, endlich seinen Platz im Familienunternehmen einzunehmen. Zwar versucht es Luca kurzzeitig mit der Büroarbeit, aber für einen Freigeist wie ihn ist so was einfach nichts. Als Augusto auch mit strenger Hand keine Ergebnisse erreicht, lässt er seinen Sohn in die Psychiatrie einweisen und setzt die Psychologin Carla Maria Mannini (Claudine Auger) auf ihn an. Durch sie wird Luca jedoch vielleicht zu sehr an die Denkweise des skrupellosen Kapitalismus angepasst...

Mit „Escalation“ legt das neue Filmlabel Forgotten Film seine dritte Veröffentlichung vor. Und ohne jetzt schon eine Wertung des Films voraus zunehmen kann gesagt werden, dass das Label hier mit dem ersten Film ihrer Italo Cinema Collection ein Gespür für unterschätzte und schwer zu bekommende Perlen beweist. Dazu handelt es sich auch noch um eine liebevoll gestaltete Edition mit gutem Bild und Ton und einer Reihe, teilweise eigens erstellter Extras. Macht neugierig auf die vorherigen Veröffentlichungen „Das Geheimnis der 14 Geisterreiter“, mit dem die Mexploitation Collection eröffnet wurde und „Der Perser und die Schwedin“ aus der Sleaze Selection.

Jetzt aber zu Roberto Faenzas Debütfilm „Escalation“, der mir bis Dato noch unbekannt war. Ehrlich gesagt kannte ich bisher nur einen von Faenzas Filmen, nämlich „Copkiller“ und ansonsten ist mir  sein Science-Fiction Film „H2S“ zumindest bekannt. Auf den ersten Metern ist Escalation ein etwas schwer einzuschätzendes Machwerk. Die ersten Minuten bringen uns Lucas psychedelische Seite näher. Luca wird von Lino Capolicchio gespielt, den ich vor allem wegen seiner herausragenden Leistung im Giallo Klassiker „Das Haus der lachenden Fenster“ schätze. Er spielt hier zu beginn sehr überdreht, was durchaus nerven kann, irgendwie aber auch ganz putzig ist. Später in seiner neuen Identität als „anständiger“ Teil der Gesellschaft ist er meistens auch etwas drüber, trifft aber den satirischen Nerv dabei besser. Nach dem Kennenlernen, wird alsbald deutlich, wo die Geschichte hin will. „Escalation“ ist eine düstere humorige Gesellschaftssatire, die im Zuge der Studierendenproteste die Brutalität, deshalb auch die Eskalation, der kalten Gesellschaft zum Lachobjekt macht.

Neben der Kritik am Kapitalismus verarbeitet Faenza auch die neu aufkommende Spiritualität, den Drogenkonsum und betrachtet dabei auch die Lethargie der Hippiebewegung, die schnell zum bloßen Eskapismus und keiner wirklich revolutionären Denkweise führt. Als Gegenstück zu ihm dient nicht nur sein, von Gabriele Ferzetti (Spiel mir das Lied vom Tod) gespielter, Vater gegenüber, sondern viel wichtiger noch Claudine Auger, die vorher schon das Bondgirl Domino in „Fireball“ mimte. Streng und fast schon robotisch beginnt sie über Luca zu herrschen. Dabei setzt sie ihre sexuelle Macht interessant als Druckmittel ein und zwar absolut ohne dabei in irgendeiner Form exploitativ dargestellt zu werden.

Aber nicht nur die drei sehr überzeugenden Hauptdarsteller*innen sind bemerkenswert für das Erstlingswerks eines noch jungen Regisseur, sondern auch die visuelle Umsetzung des Films lässt nicht vermuten, dass hier jemand gerade erst die Filmschule beendet hat. Vor allem in punkto Setdesign werden hier durch die Pop Art Einrichtung von Lucas Apartment sehr schöne Bilder produziert. Erinnert etwas an Elio Petris Science-Fiction Klassiker „Das 10. Opfer“. Auch das visuell groteske und zugleich faszinierende Ende ist ganz besonders bemerkenswert. Außerdem bietet der Film noch einen äußerst spannenden Soundtrack von Ennio Morricone (Vier Fliegen auf grauem Samt). Er verwendet hier eine Mischung aus indischen Sitarklängen, psychedelischen Rock und Kindergesänge mit religiösen apokalyptischen Gesängen, die er wiederum auch noch an die verschiedenen Genres anpasst. Sicherlich einer der eher ungewöhnlicheren und experimentelleren Soundtracks Morricones.

Trotz der eigentlich recht simplen Handlung ist „Escalation“ als Komödie mit fiesen Untertönen eher schwer zugänglich. Auch wenn einiges auf den ersten Blick etwas flach und überdreht erscheint, ist das Gesamtpaket dennoch gut durchdacht, gut gespielt und toll eingefangen. Ein interessanter Streifen, der trotzdem wohl nicht allen gefallen wird, einen Versuch hat er aber in jedem Fall verdient.

Forgotten Films erster Film der Italo Cinema Collection bringt „Escalation“ erstmals als deutsche Blu-ray Veröffentlichung. Der Film selbst verfügt über eine gute Bildqualität, die zwar etwas körnig daherkommt, aber bis auf eine sehr dunkle Introszene ein gutes Bild abgibt. Am Ton und der deutschen Synchro gibt es ebenfalls nichts zu meckern. Auf der Disc befinden sich noch einige Extras. Da wären zuerst die sehr ergiebigen Interviews mit Roberto Faenza und Lino Capolicchio. Beides gibt es übrigens sogar mit deutschem Voice-Over. Dazu kommt noch ein deutscher Audiokommentar und mehrere Bildergalerien. Außerdem bekommt ihr auch noch ein Booklet, das auf seinen über 50 Seiten fünf ausführliche und allesamt spannend zu lesende Essays enthält. Die Disc kommt in einer DVD Box mit sehr schön designten Pappschuber. Der Schuber kommt übrigens mit einem abnehmbaren Cover um das FSK Siegel loszuwerden. Insgesamt also ein sehr schöner Release, bei dem Forgotten Film beweisen, wie viel Liebe und Arbeit sie in die Veröffentlichung gesteckt haben. Bitte weiter so.

7 von 10 wollige Duschen